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Herr Sebastian Braun M. A.

Forschung

Forschungsschwerpunkte

  • Deutsch-jüdische Zeit- und Regionalgeschichte (Rhein und Ruhr/ Westfalen)

  • (Jüdische) Heimatwahrnehmungen

  • Museumskultur

  • Historisches Lernen an außerschulischen Lernorten

Dissertationsprojekt

Arbeitstitel:

Jüdische Heimat(en) an Rhein und Ruhr?

Heimatwahrnehmungen und „Beheimatung“ in jüdischen Gemeinden an Rhein und Ruhr zwischen 1945 und 1965

 

 

Im Jahr 2021 konnte das Jubiläum „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gefeiert werden. Doch dieses Festjahr muss stets in dem Bewusstsein und der Verantwortung vergegenwärtigt werden, dass es nicht als Selbstverständlichkeit zu erachten ist, dass Jüdinnen:Juden auch heute in Deutschland leben. Ihre über Jahrhunderte von Brüchen und Rissen gezeichnete Geschichte, brachte dabei immer wieder Abschnitte jüdischer Selbstbehauptung hervor, innerhalb derer Jüdinnen:Juden sich „neu beheimaten“ mussten.

 

Der aktuelle Diskurs um „Heimat“, der jüngst nicht nur die Geschichtswissenschaft erreicht hat, ist spätestens seit der prägenden Phase jüdischer Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auch als Teil deutsch-jüdischer Geschichte zum Gegenstand wachsenden Erkenntnisinteresses geworden.1

 

Doch wie sah eine jüdische Perspektive von „Heimat“ nach dem Zivilisationsbruch der Shoah in der jungen Bundesrepublik aus? Welche Motive, Wünsche und Erwartungen bewogen Jüdinnen:Juden zu der Entscheidung nach 1945 einen Neuanfang in einem Land zu wagen, das in der Verantwortung für das erlittene Leid stand?

 

Die Umstände legen nahe, dass es nicht gerade ein Verselbständigungsprozess war: Als im April 1945 die jüdischen Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager von den alliierten Armeen befreit wurden, war das Fortbestehen jüdischer Gemeinden in Deutschland nicht gerade naheliegend. Sie sahen sich vor die Wahl gestellt: Gehen oder bleiben?

 

Angesichts bedrückender Traumata und Ausgrenzungserfahrungen sowie dem Verlust von Familie und aller Existenzgrundlagen war es nicht verwunderlich, dass eine Mehrheit jüdischer Überlebender Deutschland nach 1945 so schnell wie möglich verlassen wollte und sich eine bessere Zukunft im Ausland erhoffte. Mit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 setzte eine rasche Emigration ein, die die jüdische Gemeinschaft der Überlebenden in Deutschland einschneidend reduzierte. Doch getragen von wenigen Überlebenden und Exilrückkehrern, die sich zu einem Verbleib in Deutschland entschlossen, entstanden wieder mit kleinen jüdischen Gemeinden haltgebende Netze, die zu mehr als Interimslösungen wurden.

 

Insbesondere die Region an Rhein und Ruhr entwickelte eine Bindekraft für jüdische Überlebende. So etablierten sich neben neuen jüdischen Gemeinden mit den 1946 gegründeten jüdischen Landesverbände Nordrhein (Sitz in Düsseldorf) und Westfalen (Sitz in Dortmund) sowie der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ (Sitz in Düsseldorf) auch starke innerjüdische Interessenvertretungen in der Region.

 

Im Mittelpunkt des Promotionsprojektes soll jene Region zwischen Rhein und Ruhr stehen, die ihre Entwicklung wie keine andere der Zuwanderung zu verdanken hat. Am Beispiel jüdischer Gemeinden, soll das Vorhaben als regionale Fallstudie „Beheimatung“ als kollektive und individuelle Generationenerfahrung ausloten und dadurch Einblicke in Lebensentwürfe und Gefühlswelten von Jüdinnen:Juden an Rhein und Ruhr in der Phase des Wiederaufbaus zwischen 1945 und 1965 eröffnen.

 

Damit will das Projekt den gefühlten und emotional erinnerten Bezugsrahmen von Heimat aufdecken und einen neuen Erzählbogen spannen, der für die deutsch-jüdische Geschichte dieser Region noch ein Desiderat darstellt. Nicht zuletzt aufgrund der geringen Zahl jüdischer Gemeindemitglieder, 1959 wurden gerade einmal 3.925 Personen2 in ganz NRW gezählt, erscheint es umso bedeutender, diese Region in den Fokus zu nehmen und Perspektiven jüdischer „Heimat“ in dieser Region zu untersuchen.

 

Dies möchte die Studie auf zweierlei miteinander verwobenen Folien vornehmen, um Perspektiven von Heimat, Aushandlungs- und Neufindungsprozessen innerhalb dieses „Resonanzraumes“ nachzuspüren:

 

  1. Rhein und Ruhr: Ein Blick soll dabei auf die an Rhein und Ruhr verbliebenen Jüdinnen:Juden gerichtet werden.

  1. Palästina/ Israel: Parallel dazu sollen die Motive der durch Emigration und Exil in der Diaspora verwurzelten deutschen Jüdinnen:Juden sowie von Rückkehrer untersucht werden.

 

Dabei soll die Studie jüdischer Selbstverortung und Perspektive(n) von jüdischer „Heimat“ an Rhein und Ruhr anhand folgender Leitfragen nachgehen:

 

  • Wie wurde „Heimat“ von Jüdinnen:Juden an Rhein und Ruhr zwischen 1945 und 1965 ausgehandelt und konstruiert?

  • Welche Funktion nahm dabei die Gemeinde als Kollektiv gegenüber der nichtjüdischen Umwelt ein?

  • Welche Verbindungsstränge gab es zu den Vorkiegsgemeinden und wie beeinflusste Erinnerung eine „Neu-Beheimatung“ nach 1945?

  • Welche „Heimat“-Gefühle leiteten diese „Neu-Beheimatung“? Mit welchen Gefühlen war dieser Prozess besetzt?

 

 

1 Zuletzt befasste sich etwa eine Podiumsdiskussion im Jüdischen Museum Berlin unter dem Titel »Die deutsch-jüdische Diaspora: Exil, neue Heimat, oder was?« am 12. Juni 2022 mit dem Thema.

 

2 Errechnete Zusammenfassung aller Mitglieder der jüdischen Gemeinden in NRW für das Jahr 1959 nach: Mitgliederstatistik der heutigen jüdischen Gemeinden 1933 – 1959. In: Maòr, Harry: Über den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in Deutschland seit 1945, Anlage IV.

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