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Jun.-Prof. Dr. Anne Sophie Overkamp

Juniorprofessorin für Historische Wissenschafts- und Technikforschung

Forschung

Die Tropen auf der Fensterbank – Domestizierung und Kommerzialisierung der Natur im Zeitalter des Hochimperialismus (Habilitationsprojekt)

Ausgehend von dem Alltagsgegenstand Zimmerpflanzen nutzt das Projekt die Spannung zwischen imperialer Expansion und intimer Häuslichkeit, wissenschaftlichem Rigorismus und ästhetischer Wertsetzung, kommerziellen Interessen und volkspädagogischem Impetus, um das Verhältnis von Natur, Kultur und Gesellschaft im Zeitalter des Hochimperialismus neu und anders zu beleuchten. Es erforscht die Marktlogik hinter den so genannten globalen Gütern, untersucht die materielle Aneignung und Domestizierung fremder Natur und fragt nach der Präsenz des Kolonialen in der alltäglichen Lebenswelt. Mit seinem Fokus auf eine spezifische Praktik, die Zimmerpflanzenkultur, begreift das Projekt globale Verflechtungsprozesse auf einer individuellen Ebene und bettet sie lokal und bereichsspezifisch ein. Die Untersuchung konzentriert sich auf Deutschland und Belgien von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1930. Durch die vielfältigen transimperialen Bezüge dieser beiden nicht nur regional fragmentierten, sondern auch sozial, politisch und wirtschaftlich stark in sich differenzierten Gesellschaften, so die These, gerät die Verschränkung von hochimperialer Globalisierung und Nationsbildung auf der einen und von kolonialisierter Natur und lokaler Umwelt auf der anderen Seite besonders deutlich in den Blick.

 

Of Species and Specimens: Tracing Nonhuman Histories in Times of Imperial Expansion (International workshop and publication of special issue) (zusammen mit Sabine Hanke, Universität Tübingen)

Vor zwanzig Jahren veröffentlichte die Wissenschaftshistorikerin und Kulturkritikerin Donna J. Haraway Das Manifest für Gefährten. In dem anregenden Essay untersucht sie Begriffe wie Zusammenleben, Koevolution und artenübergreifende Sozialität. Während Haraway sich in dieser sehr persönlichen Abhandlung auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund konzentrierte, umfasst ihr Konzept der Companion Species alle organischen Wesen, die das menschliche Leben geformt und beeinflusst haben, von Enterobakterien, Reis und Tulpen bis hin zu Bienen und Pferden. Schließlich existieren wir alle in einer vielschichtigen sozio-ökologischen Beziehung, die den traditionellen Dualismus von Natur und Kultur und die Abgrenzung des Menschen von seiner natürlichen Umgebung widerlegt. Diese Interaktion zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Lebensformen wurde in Zeiten der imperialen Expansion noch intensiviert. Zuvor getrennte Gesellschaften, Flora und Fauna kamen in Kontakt, wurden beobachtet, katalogisiert, mobilisiert, ausgetauscht und auf besondere Weise genutzt.

In einem Workshop, der im Juli 2024 an der Universität Tübingen stattfand, kamen auf Einladung von Sabine Hanke und mir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Weltzusammen, um sich mit Schlüsselfragen nicht-menschlicher Handlungsfähigkeit in Zeiten imperialer Expansion befassen, wie etwa den verschiedenen Ausdrucksformen nicht-menschlicher Handlungsfähigkeit, artenübergreifenden Begegnungen sowie Fragen von Grenzobjekten und Grenzziehungen. Für einen Bericht über den Workshop siehe https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-146141

Zu dem Thema soll 2026 ein special issue erscheinen.

 

Das Landhaus zwischen Konsum und Patin, 1780-1830 (Buchprojekt)

Die Zeit um 1800 brachte starke, wenn auch regional unterschiedliche Umbrüche mit sich, die auch das Leben auf Schlössern, Guts- und Herrenhäusern, kurz „Landhäusern“, deutlich beeinflussten. Die zeitweilige Abschaffung des Adelsstandes und der Feudallasten im Rheinland, seine Mediatisierung im Südwesten und die Agrarreformen im Nordosten veränderten nicht nur die ökonomischen Bedingungen für die Gebäude, sondern transformierten auch die Beziehungen zur Bevölkerung im Umfeld des Hauses, das sich in aller Regel zunächst noch im Besitz Adliger befand, in steigender Zahl aber zumindest im Westen und Osten auch von Bürgerlichen bewohnt werden konnte. All diese Ereignisse hatten neben der Adelskritik auch auf das Selbstbewusstsein und den Führungsanspruch der (adligen) Landhausbewohner Auswirkungen. Recht verlor für die Betonung von Status erheblich an Bedeutung. Kriege und Reformen ließen Einkommen zusammenschmelzen.

Wurden vor diesem Hintergrund neue Wege zur Manifestation der eigenen sozialen Stellung gesucht? Konsum und die Inszenierung der materiellen Kultur können für die Abgrenzung nach außen ein wesentlicher Faktor sein und, so die Prämisse des Teilprojektes, lassen sich somit als Reaktionen auf die Herausforderungen des tiefgreifenden Strukturwandels um 1800 untersuchen. Hiervon ausgehend fragt das Projekt nach der Ausgestaltung von Landhäusern, das heißt den Raumarrangements und Interieurs, den Konsumpraktiken und allgemein der materiellen Kultur, die von den Landhausbewohnern und -bewohnerinnen gepflegt wurden. Konfession und geschlechtsspezifische Rollenverteilungen in der materiellen Kultur bilden weitere Analysekategorien.

https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/geschichtswissenschaft/seminareinstitute/neuere-geschichte/personen/arbeitsbereich-19-jahrhundert/mitarbeitende-des-projekts-landhaeuser-im-wandel/

 

Fleiß, Glaube, Bildung – Kaufleute als gebildete Stände im Wuppertal, 1760-1840

(Promotionsprojekt, abgeschlossen)

In meiner Dissertation habe ich mich mit Verleger-Kaufleuten in einer proto-industriellen Gewerberegion, dem Wuppertal, beschäftigt und danach gefragt, wie in der Zeit um 1800 in Deutschland eine spezifische soziale Formation, die „gebildeten Stände“, entsteht. Zentrales Anliegen der Arbeit ist es, Wirtschafts- und Kulturgeschichte miteinander zu verbinden. Für die integrative Untersuchung der Kaufmannsfamilien im Wuppertal des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, welche Firma und Familie in ihren Wechselbeziehungen in den Blick nimmt, habe ich verschiedene Forschungsansätze miteinander in Dialog gebracht: atlantische (Wirtschafts-)Geschichte, Proto- Industrialisierungsforschung und Konsumgeschichte auf der einen, Bürgertums- und Gebildetenforschung auf der anderen Seite. Auf diese Weise werden die Kaufleute nicht allein als Wirtschaftsakteure, sondern in ihren vielfältigen Lebenswelten analysiert. So habe ich erstens Techniken der Markterschließung und der kaufmännischen Buchführung untersucht, zweitens kaufmännische Ausnahmesituationen wie den Konkurs betrachtet, und drittens diese Phänomene in Beziehung gesetzt zu kulturellen Normen und religiösen Praktiken. Bildungs-, Heirats- und Reproduktionsstrategien oder die öffentliche Geselligkeit der Familien habe ich wiederum daraufhin untersucht, inwieweit diese von der Lebenswelt „Firma“ beeinflusst waren. In einer solchermaßen doppelt eingebetteten Untersuchung, so lautet die zentrale These, lassen sich ökonomische Makroprozesse wie die globale Kommerzialisierung umfassend analysieren, ihre kulturelle Bedingtheit verstehen und angemessen historisieren.

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