Distanzen überwinden. Briefkommunikation und Briefdokumentation im Mittelalter
Die von den Universitäten Aachen, Düsseldorf und Wuppertal in Kooperation mit den Monumenta Germaniae Historica und dem Österreichischen Historischen Institut in Rom sowie dem Mediävistenverband durchgeführte Sommerakademie mit dem Titel "Distanzen überwinden. Briefkommunikation und Briefdokumentation im Mittelalter" stieß auf großes Interesse. Insgesamt lagen 50 Bewerbungen aus dem In- und Ausland vor, von denen 25 berücksichtigt werden konnten. Diese 25 Studierenden widmeten sich vom 7. bis 11. Oktober in Düsseldorf dem Thema Briefe im Mittelalter in einer Mischung aus Einführung in einzelne Themenbereiche und praktischen Leseübungen an Briefen und Urkunden in ihrer originalen Gestalt.
Zur Gestaltung der Lehreinheiten konnten ausgewiesene Experten gewonnen werden. Den Reigen eröffnete Martina Hartmann (MGH, München) mit dem Briefbuch Wibalds von Stablo, so dass bereits in der ersten Einheit nicht allein die Quelle in ihrer konkreten Überlieferung im Vordergrund stand, sondern auch die Frage nach einer angemessenen Aufbereitung in Form einer Edition. Nach einer kurzen Einführung in Leben und Werk lasen und übersetzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur eine Passage aus dem Briefbuch Wibalds, sondern ebenso aus der Parallelüberlieferung eines Briefes. Diese Kombination aus der Einübung grundlegender Fähigkeiten beim Umgang mit Quellen in ihrer originalen Gestalt und dem Reflektieren über die Aussagekraft der konkreten Überlieferungsform bildeten auch das zentrale Moment der weiteren Lehreinheiten. Dabei wurde ein Bogen vom 12. Jahrhundert bis zum Ausgang des Mittelalters geboten. Florian Hartmann (Bonn) behandelte die artes dictandi zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert, Rainer Murauer (ÖHI, Rom) die Register Papst Innozenz' III., Matthias Thumser (FU Berlin) kuriale Briefsammlungen am Beispiel des Thomas von Capua, Jochen Johrendt (Wuppertal) Abschriften der Gesta Innocentii aus dem 14. Jahrhundert, Eva Schlotheuber (Düsseldorf) niederdeutsch-lateinische Briefe von Benediktinerinnen aus Lüne und Harald Müller (Aachen) humanistische Briefe am Beispiel der Briefsammlung des Nikolaus Ellenbog. Die dabei angewandte Mischung aus praktischen (Lese-)Übungen und theoretischer Reflexion wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als gelungen empfunden.
Den Höhepunkt des Umgangs mit Quellen in ihrer originalen Überlieferung bildete am Donnerstagvormittag ein Besuch der ULB Düsseldorf, bei dem die theoretisch und anhand von Papierkopien und Digitalisaten erworbenen Kenntnisse an Originalhandschriften vertieft werden konnten. Nach einer Einführung durch die Dezernatsleiterin, Frau Katharina Talkner, wurden die Studierenden auf fünf Tische verteilt und konnten so im Rotationsprinzip nicht nur einzelne Handschriften aus nächster Nähe betrachten, sondern durch den Restaurator der ULB Düsseldorf zusätzliche Einblicke in die Materialität von Pergamenthandschriften gewinnen. Auf den anderen Tischen konnten die Teilnehmer folgende Handschriften genauer betrachten: B 78 (Register Gregors I., Nordfrankreich oder Werden (?), 9. Jh., 2.-3. Drittel), D 1 (Sakramentar, Westfränkisch/Nordwestdeutschland, um 867/72), B 3 (fol. 305v: Kanonissenbrief, Ende 9. Jh.: Bitte um Erlaubnis, Nachtwache halten zu dürfen, um lateinisch zu deklinieren und beten zu dürfen), B 51 (Cassian, De institutione coenobiorum; Collationes: Hs. aus zwei Teilen: 12. u. 14. Jh.), B 67 (theologische Sammelhandschrift, Kloster Altenberg, 13. Jh.), D 11 (Graduale, Soest, Ende 14. Jh. oder um 1400), B 84 (Sammelhandschrift u. a. mit Briefen von Petrus Damiani, 1367-1490) sowie C 93 (Sammelhandschrift aszetischer Schriften, um 1425/30) und die beiden Fragmente K03:H03 (Hoger von Werden? Werden, kurz vor 900), K04:003 (Rudolf von Ems, Barlaam und Josaphat, Heisterbach, 2. H. 13. Jh.).
Nach außen öffnete sich die Sommerakademie zudem durch einen öffentlichen Abendvortrag von Peter Orth (Köln) mit dem Titel "Auch längere Briefe lege ich nur widerwillig beiseite. Oder wie man im Mittelalter schöne Briefe schreibt". Er verdeutlichte, dass in hochmittelalterlichen Briefsammlungen spätantike Autoren in wesentlich größerem Umfang benutzt wurden, als dies bisher angenommen oder in den entsprechenden Editionen ausgewiesen wurde. Die vergleichsweise hohe Zahl der Bewerber sowie die sehr positive Resonanz bestärken die Veranstalter darin, das so beschriebene Format fortzusetzen.